ESSAYREIHE *TROUBLE | Vom Säen (bei Donna Haraway, aber auch nicht)

„Sie wird in Europa nicht sehr stark rezipiert“, sagte Frau Prof.in Bstieler zu Beginn ihres Seminars über Donna Haraway bzw. deren Buch „Unruhig bleiben“ (Campus). Tatsächlich hatte ich nie von Donna Haraway gehört, aber vielleicht hat das Wenige, das hierzulande über sie zu lesen oder zu hören war, mich auch nur nicht erreicht. Dabei ist Donna Haraway, immerhin,  „eine der einflussreichsten Denkerinnen in der Kunstwelt“.

Dass sie – außerhalb der Wissenschafts- und Kunstwelt, in Europa zumal – kaum präsent ist, mag auch an ihrer außergewöhnlichen Denkweise liegen: „Unruhig bleiben“ jedenfalls ist alles andere als „einfache“ Lektüre, es ist ein wildes Buch, anstrengend und mühsam zu lesen, und lässt sich vielleicht tatsächlich mit „unruhig“ am besten beschreiben.

Trotzdem oder gerade deshalb ist die Lektüre in jeder Hinsicht eine überaus lohnende: Das Buch rüttelt – heftig! – an Gewohnheiten und Gewissheiten, an Glaubenssätzen und anderen Überzeugungen, mit denen wir (ich glaube, die Verallgemeinerung im Sinne der weißen, europäischen und europäisch-stämmigen Menschheit ist hier durchaus gerechtfertigt) uns auf dem Erdball gemütlich eingerichtet haben – nicht wie Bewohner mit anderen Bewohnern, sondern wie Besatzer, und wie Besitzer. Es scheint übrigens, als würde Donna Haraway auch in Europa letzthin stärker rezipiert (so z. B. im Rahmen der diesjährigen, sehr weiblich geprägten Biennale in Venedig); das mag an ihren (wie gesagt ebenso ungewöhnlichen wie spannenden) „Ideen für eine erschöpfte Welt“ liegen, aber auch insgesamt am stärker werdenden Interesse an der sog. „Klimakrise“, die ja eigentlich und genau betrachtet eine Menschheitskrise ist, wahrscheinlich die größte und nachhaltigste, mit der wir – als Menschheit – je konfrontiert wurden. [Hier ein kurzer Ausflug: Der Begriff  „Menschheit“ kommt im Kontext der „Klimakrise“, vielleicht zum ersten Mal, in seinem umfassenden Sinne zum Ausdruck: Wir sind alle eins, und nie war das klarer als jetzt.]

Donna Haraway zeigt das schonungslos auf, ohne dabei belehrend oder gar überheblich zu sein – im Gegenteil: Da sind Humor, da ist Lebensfreude, da ist Zuversicht – aber ganz besonders sind da ungewöhnliche, spannende, ganz und gar neuartige Gedanken, Geschichten und Überlegungen.

Kurz und gut: Ich empfehle diese wilde, anstrengende Lektüre ohne Wenn und Aber. Und stelle hier unten, als meine ganz persönliche Einleitung, meine Seminararbeit zum PS Sozialphilosophie und politische Philosophie bei Michaela Bstieler mit dem Thema „Staying with the trouble, Das politische Denken Donna Haraways“ ein. Die Arbeit wurde übrigens,  mit drei anderen bei komplex – Kulturmagazin Innsbruck veröffentlicht (worüber ich mich, zugegeben, sehr gefreut habe).

komplex-KULTURMAGAZIN

Im Rahmen unserer Reihe *Staying with the Trouble zum Denken Donna Haraways beschäftigt sich Sylvia Rier in ihrem philosophischen Essay Vom Säen der Bedeutung des Samens im materiellen sowie im symbolischen Sinn.

Es gibt eine kleine Sä-Bewegung. Die Samen allfällig genossener Früchte werden getrocknet und in den grauen Gebieten der Stadt ausgesät. Den Rest übernimmt die Natur [es braucht nicht mehr als ein paar/richtige Samen, um die Welt zu verändern]

Samen III, 2020 | Bild: Teresa Abad-Carles

Säen als Verbindungs-Faden von einer archaischen Vergangenheit zu Gegenwart zu Zukunft

Mit dem Begriff des Säens wirft Donna Haraway einen zeiten- und weltenumspannenden Bogen aus einer sehr fernen, archaischen Vergangenheit in die Gegenwart. Die Unterschiede zwischen diesen Zeiten und Welten könnten größer kaum sein. Es gibt aber Verbindungen, und Bewegungen, die bleiben. Das Säen ist eine von ihnen. In die Welt von morgen muss eine Welt von gestern mitgenommen werden. Ohne Samen/Säen…

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Törggele-Kastanien aus Cuneo

Wir waren gestern auf der gegenüberliegenden Talseite, zu einem Spaziergang, und sind, wie es sich gehört um diese Jahreszeit, bei einem bekannten Törggele-Hof eingekehrt. Ein Glas vom neuen Wein, ein paar Kastanien, und über allem die milde Herbstsonne. Schön war das.

Dann kam der Wirt an unseren Tisch, und berichtete, die Kastanien kämen aus Cuneo, der abrupte Temperatursturz habe den heimischen Früchten den Garaus gemacht. (mehr …)

„postoccupato“, oder: Gewalt an Frauen (im Museum)

Es ist wohl einer der ungewöhnlicheren Orte, um auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen: Eine Ruhebank in einem Museum. Aber vielleicht ist die Wirkung ja gerade deshalb eine so starke: Weil niemand damit rechnet, in einem beliebigen Museum an einem beliebigen Tag auf einer beliebigen Ruhebank zu Gewalt gegen Frauen „angesprochen“ zu werden, von einem großformatigen Aufkleber, viel blutrot auf weißem Grund. Der weiße Grund hält den Platz besetzt, das Logo und die rote Schrift erzählen, warum:

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Ein Heu-Tuch, und eine kleine Geschichte (von Heimat)

Als ich vor ein paar Wochen wie seit vielen Jahren schon und beinahe täglich gen Marinzen strebte, sah ich mich plötzlich mit einem Heubündel – ab hier Heu-Tuch – konfrontiert, das vor mir herwankte (ich kann das nicht anders sagen, denn Heu-Tücher wanken, so sie voll sind und nicht auf dem Boden liegen), kaum dass ich den Hohlweg durch den Parnoar-Wald hinter mir gelassen hatte. (mehr …)

Il bello della Mehrsprachigkeit

Die Puritaner unseres Landes und ein paar andere, deren Augen und Herzen lieber nach hinten unten schauen, als nach vorne und in alle Richtungen, bekamen jüngst wieder einmal Grund, sich zu echauffieren – dieses Mal aus Meran: Das Erregungsmaterial kam in Form einer Werbekampagne, gehalten in sprachlichem „Kauderwelsch“. Ich finde, ehrlich gesagt, die Kampagne bzw. das wenige, das ich via NSTZ (Autentico ist besser“ – Die Neue Südtiroler Tageszeitung) von ihr zu sehen und zu lesen bekam, nicht besonders aufregend, am allerwenigsten „das Kauderwelsch“ – da hätte unser Sprachbestand bestimmt Besseres zu liefern gehabt.  (mehr …)

Ich hatte ein Zuhaus‘ (Kleine Völker Europas)

Die schönsten Bücher schenkt mir meine Tochter. Dieses Jahr hat sie „Gehat hob ikh a Heym, Am Herzen Europas 1, Zeitgenössische jiddische Lyrik“ für mich unter den Weihnachtsbaum gelegt. Ich bin immer noch überrascht, auch über mich selbst, wie sehr sie mit dieser – an und für sich unwahrscheinlichen – Wahl einen Nerv getroffen hat. Gleich mehrere Nerven, um genau zu sein:

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Friede, Freude, Straßennamen (und ein bisschen Geschichte)

Tatsächlich – ich habe nachgesehen: In ganz Bozen gibt es keinen Platz, keine Straße, keine Passage und keinen Winkel, der oder die das schöne Wort „Frieden“ in ihrem Namen trüge. Das ist schon ziemlich bemerkenswert, finde ich, in Anbetracht der Geschichte und Entwicklung unserer schönen Heimat, wie gut also, dass es ihm aufgefallen ist, dem Herrn Stenico, und er darauf aufmerksam gemacht hat. Bleibt zu hoffen, dass sein Ausrufezeichen die Aufmerksamkeit findet, die es verdient. (mehr …)