Dörfer, halbtote Dörfer, tote Dörfer

Die jüngsten – neuen – Fördermaßnahmen der Autonomen Provinz lassen aufhorchen: In den Genuss von finanzieller Unterstützung aus dem öffentlichen Säckel kommen demzufolge künftig die so genannten „Tante Emma“-Läden draußen auf dem Lande (oder auch: „Nahversorgung“… immer diese hässlichen,  sterilen Wortschöpfungen…), sowie Arbeitgeber, die „hoch qualifizierte MitarbeiterInnen“ einstellen. In diesem letzteren Zusammenhang finde ich besonders interessant, wie unsere Landesregierung „hoch qualifiziert“ definiert – nämlich so: „Personal mit Fachlaureat oder Doktorat in technisch-wissenschaftlichen Disziplinen mit mindestens fünfjähriger Berufserfahrung.“ Diese Definition greift ein bisschen sehr kurz, nicht wahr, und ist eigentlich ein Affront für all die vielen Nicht-Akademiker, die hoch qualifiziert sind, und hoch professionell. (mehr …)

Unterkommen, oder auch: Schlafen (in Pavia)

Unser Plan war ja ursprünglich der gewesen, in Herbergen zu übernachten, größtenteils zumindest. Es ist ja diese auch eine Kostenfrage, nicht wahr, bei einer vier- bis fünfwöchigen Reise. Unter „Herbergen“ stellte ich mir Jugendherbergen vor, und hatte kein Problem damit, außer vielleicht die Sorge, ob ich nicht schon zu alt dafür sei. Meine Tochter beruhigte mich, es dürften da auch alte Leute rein, wenn sie nur bezahlen. Erst in der Vorbereitung auf unsere Reise lernte ich, dass es auf dieser Welt auch ausdrückliche Herbergen für Pilger gibt. (mehr …)

Der Zug (hat ihn mir mitgenommen)

Es muss in Fiorenzuola d’Arda gewesen sein, ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr genau, wie wir dahin gekommen sind, aber ich erinnere mich sehr gut daran, wie wir das Städtchen am nächsten Morgen – war es Sonntag? – wieder verließen. Es war noch recht früh, irgendwie glaube ich, war alles grau in grau, und wir hatten Mühe, in den Gässchen und auf unserem Weg aus der Stadt hinaus ein geöffnetes Café zu finden, in dem wir frühstücken konnten. Dann aber landeten wir glücklich an einem Tisch, und wurden kurz darauf gefolgt von drei Männern, ihrem Aussehen nach aus dem nahen oder mittleren Osten gebürtig. Sie setzten sich uns gegenüber, und wirkten insgesamt, als hätten sie ihre Nacht im Freien oder in einem Auto oder jedenfalls an keinem besonders gemütlichen Ort verbracht. Ich hatte ein ungutes Gefühl, ohne dass ich hätte sagen können, warum, aber etwas beunruhigte mich im Verhalten der drei, und in den Blicken, die sie sich zuwarfen. Ich ermahnte mich, zuerst, dass Vorurteile etwas Hässliches sind, und dann aber doch zum Aufbruch. (mehr …)

Treuer Begleiter

Er war uns auch tatsächlich ein treuer, und guter, Begleiter; anfangs, als die Unsicherheit noch groß war, hatten wir ihn ständig in der Hand, und unsere Nasen drin. So sieht er auch aus, meine ich: Wie ein gutes, gern gelesenes (strapazierfähiges!) Buch. Aber schon bald wurden wir lässiger, und lasen – meist am Vorabend – hauptsächlich darin, um uns einen Überblick über die Strecke des nächsten Tages zu verschaffen. Tagsüber steckte das Buch dann meist, griffbereit zwar, im Rucksack, und wurde nur hervor geholt, wenn uns Zweifel befielen (das kam vor, und gar nicht selten).

Diese „strategische“ Planung am Vorabend war uns eine große Hilfe, und Beruhigung: Wir justierten uns entsprechend des beschriebenen Schwierigkeitsgrades und zu erwartender kritischer Stellen,  erkundigten uns ggf. nach Alternativen und/oder Varianten (für uns zum Beispiel, die wir im frühen Frühjahr unterwegs waren, stellten unpassierbare Furten ein paar Mal unüberwindliche Hindernisse dar, mit daraus resultierendem Zwang zu oft beachtlichen Umwegen; solche – eigentlich, unter normalen Umständen – Kleinigkeiten werden schnell zu beträchtlichen Hürden, unter den außergewöhnlichen Umständen einer Fernwanderung), und passten den Zeitpunkt des Aufbruchs an (früher aufstehen als „normal“? länger schlafen als „normal“? Als „normal“ hatte meine innere Wächterin schon bald sieben Uhr als Aufwachzeit zuverlässig programmiert. Von da an benötigten wir noch ca. eine knappe Stunde, bis wir und unsere Rucksäcke startbereit waren). Weitere wichtige Punkte, deren präventive Klärung ruhigen und erholsamen Schlaf sehr förderten,  waren z. B.  jene nach dem Vorhandensein von Verpflegungs-Möglichkeiten und – noch wichtiger – Wasser-Tankstellen entlang der Strecke.

Nicht zuletzt war es mir persönlich sehr wichtig zu wissen, ob  am Ende des Tages nur eine (Pilger-)Herberge oder noch andere Übernachtungsmöglichkeiten auf uns warteten, und wenn ja, wie viele, und welche. Gegenüber den (Pilger-) Herbergen hegten wir, seit S. Cristina Bissone, eine starke Abneigung.

Wir waren übrigens, glaube ich, die einzigen, die mit einem solchen Führer unterwegs waren. Die anderen Wanderer bzw. Pilger, denen wir begegnet waren, stützten sich großteils auf nichts anderes als die Wegmarkierung, und die Pilgerherbergen, manche auf ganz normale Wanderkarten, aber jedenfalls auch und ausschließlich auf die Pilgerherbergen. Nur ein fernwanderungserfahrenes Paar aus der Schweiz, mit dem wir im (sehr angenehmen) B&B „La Casa dei nonni“ in Berceto beim Frühstück zusammen getroffen waren, wanderten mit der Unterstützung von „Komoot„, und lobten es in den höchsten Tönen.

Wir luden uns dann zwar Komoot auf die mitgeführten mobilen Endgeräte, blieben aber letztlich unserem „klassischen“ Führer treu, und haben das nicht bereut, im praktischen Sinne nicht, und im emotionalen schon gar nicht: Das malträtierte Büchlein liegt seit unserer Rückkehr an meinem Arbeitsplatz, immer im Blickfeld, und erinnert mich still, aber beständig an eine ganze, sehr lange Kette von schönsten Tagen in meinem Leben.

Dreck, am Stecken (bzw. Schuh)

Ich komme gerade von meinem (nach Möglichkeit) täglichen Auslauf, und stelle fest: Der Frühling naht. Das lässt sich unter anderem daran erkennen, dass die Wege meist kaum noch solche sind, und das Gehen mehr ein Waten ist, durch sehr viel sehr gut genässter Erde. Dreck mag ich dazu nicht sagen, denn es ist nur nasse Erde. Dreck ist was anderes (im Landesjargon nennt sich das Zeug „Lettn“, wie es sich im Deutschen nennt, wüsste ich nicht zu sagen, glaube ich.)

Das hat mir eine der unangenehmeren Situationen auf unserer langen Wanderung durch Mittelitalien in Erinnerung gerufen, eher am Anfang noch, in der Emilia Romagna, und wohl auf der Etappe von Sivizzano nach Medesano. In dieser Erinnerung stehen wir auf einer Anhöhe, eher weit unter uns das Tal, und zwischen uns und jenem Tal, in das wir wollten, beziehungsweise mussten, war dieser lange, unglaubliche nackte Hang, in zwei Hälften geteilt von „unserem“ Wege. Sonst war da nichts, außer blanker Einöde – wie frisch gepflügte, unbestellte Felder im Frühjahr halt so aussehen.

Der (ganze!) Hang war wohl gerade erst umgepflügt worden – meterdicke Schollen, glaube ich, so etwas hatte ich noch nie gesehen, bin noch heute tief beeindruckt (luxuriöse Bauerschaft, das hier, habe ich mir gedacht). Allerdings: Das Zeug war keine Erde, es war Lehm, nasser, schwerer und überaus tückischer Lehm. Und auf dem ganzen Hang, bis fast hinunter ins Tal, war nichts als dieser Lehm, kein Gras, kein Stein, kein Baum, nichts, nirgends, und mitten durch diese Lehm-Wüste schnürte unser Weg, auch er, natürlich, nichts als nasser Lehm. Praktisch liefen wir mitten durch das Feld. Ich weiß noch, wie ich da stand, und über diesen elenden Hang hinunter schaute, auf den Ort, in den wir wollten, und wie ich am liebsten verzweifelt wäre.

Ich fragte mich, wie das wohl die Bauern machen würden, bei ihrer Arbeit, auf den Feldern, aber mir wollte partout keine Erklärung einfallen. Wir jedenfalls kamen kaum voran, nur schrittweise, und selbst das nur mit Mühe, und hatten noch den ganzen, elenden Hang vor uns. Um ein Haar hätte ich die Nerven verloren, aber das hätte uns auch nicht weiter geholfen. Also rief ich mich zur Ordnung, wir mussten da durch, wir mussten da runter, aber vor allem WOLLTEN wir da runter, und das ging vermutlich am besten bei möglichst klarem Verstand.

Und so schleuderten wir – denn alles andere hatte sich als unfruchtbar erwiesen, eine bessere Lösung war uns nicht eingefallen -, nach jeweils ca. 3 bis 4 Schritten erst den einen, dann den anderen Fuß mit Schwung von uns, und wirbelten Lehmbatzen in den emilianischen Himmel, und während wir links noch schleuderten, hatten wir rechts schon wieder einen großen Batzen kleben. (Ich hoffe, von den Einheimischen hat uns niemand beobachtet.) Es zeigte sich: Das ging, und war gar nicht unlustig, wie sich heraus stellte, als der erste Ärger über diese unzumutbaren Zustände (sowas! gäb’s bei uns aber auf gar! keinen! Fall!) verraucht war. Am Ende hätten wir beinahe noch einen Höllenspaß an der Sache gehabt, merkten aber rasch: Oha! Das geht auch ohne Schleudern:

Man geht nämlich einfach weiter, als sei nichts, und geht so lange einfach immer weiter – eh nur wenige Schritte – bis der Lehmbatzen dank seines rasch wachsenden Eigengewichts in Eigenregie, ganz still und völlig mühelos… vom Schuh fällt. Und dann macht man einfach so weiter.

Tja. Andere Länder, andere Sitten, anderer Lettn, habe ich mir gedacht, und so einfach ist das.

Danach marschierten wir – höllisch erleichtert! – munter und gut gelaunt in Richtung Tal, und freuten uns aber doch mächtig, als wir – endlich – dem tückischen Lehm (rutschiger Lehm am Schuh, dazu rutschiger Lehm unter dem Schuh, und beides in schönster Hanglage – das ist KEINE freundliche Kombination!) glücklich entwichen waren und wieder Gras und trockenen Boden unter unseren Füßen hatten. Ich hätte nie gedacht, welche Freude es auslösen kann, lehmige Schuhe an Gräsern trocken und sauber zu reiben, und welche Glücksgefühle, auf einer trockenen Straße gen Tagesziel zu marschieren.

Ja, so einfach ist das.

PS: Das Titelbild stammt nicht von mir, beschreibt nichtsdestotrotz unsere Situation recht gut – mit dem Unterschied, dass unser Hang absolut nackt und blank war. Nur lehmige Erde, und sonst nichts.

Ostereier „peckn“ in Fiorenzuola d’Arda (PC)

Fiorenzuola d’Arda ist ein kleines Städtchen mit etwa 15.000 Einwohnern, in der Provinz Piacenza und mithin in der Emilia Romagna. Es war unsere dritte Etappe seit unserem Aufbruch in Pavia – eine, Orio Litta, hatten wir, im wahrsten Sinne des Wortes, links liegen gelassen, geschluckt gewissermaßen (heute weiß ich, dass so etwas eher unvorsichtig ist, und gut und gerne böse enden könnte. Aber wir hatten, in unserer Blauäugigkeit, wohl auch einen Haufen Glück. Alles ging letztlich gut, immer).

Am Abend, nachdem wir uns unserer Rucksäcke entledigt hatten, machten wir uns wie immer auf die Suche nach einem Ort zum Abendessen. Das Abendessen wurde sehr schnell zu unserem täglichen Highlight: Wir waren mal mehr, mal weniger müde, aber immer zufrieden, vermutlich, weil das Tages-Soll geschafft, alles gut gegangen und das Dach überm Kopf für die Nacht gesichert war. Solche „Kleinigkeiten“, an die man üblicherweise gar nicht denkt, hatten plötzlich eine ganz neue Bedeutung, und so war vermutlich das Abendessen ein Moment der tieferen Entspannung. Entsprechend sorgfältig suchten wir auch stets nach einem „guten“ Ort – nur wenig kann tiefer enttäuschen wie schlechtes Essen an einem lieblosen Ort, wenn man sich auf gutes Essen an einem guten Ort gefreut hat. In Fiorenzuola d’Arda aber ließen wir das Suchen bald sein: Die Auswahl schien gering, wir waren hungrig, vielleicht auch ein wenig gereizt – nach kaum drei Tagen fühlte sich unser neuer Status der Fernwandererin noch ganz neu und ungewohnt an, wir waren noch nicht wirklich angekommen, in unseren neuen Kleidern – und begnügten uns mit der naheliegendsten Pizzeria (Pizzeria mit Restaurant bzw. umgekehrt – Kombinationen, die ich im allgemeinen eher meide).

Dort saßen wir also und wunderten uns über den übellaunigen Wirt, als mein Blick auf ein Wandbild fiel, auf der hohen Vorderseite des Tresens, hinter dem der Pizzaiolo seine Teigfladen wirbelte: Das Bild zeigte, ganz eindeutig und also für mich, an diesem Ort, eher unglaubwürdig, zwei Menschen, einen Mann und eine Frau, die beide je ein Ei in ihren Händen hielten und – ich hätte es schwören mögen – peckten. So heißt, was die beiden taten, bei uns, in Südtirol.

Allerdings: Wie sollte das sein? Ist etwa Ostereierpecken nicht ganz und gar „typisches“ Südtiroler, jedenfalls aber ganz und gar kein italienisches Brauchtum? Saßen wir aber etwa nicht in einem Lokal in der Emilia Romagna?

Jenes Bild aber, an jenem Tresen dort, erzählte eine andere Geschichte – und ließ mir keine Ruhe: Es war ja auch gar zu kurios. Nachdem auch meine Tochter sich danach umgedreht und mir bestätigt hatte, doch, auch sie würde sagen, dass die beiden „peckten“, bat ich den übellaunigen Wirt an unseren Tisch und fragte ihn nach der Bedeutung jenes Bildes.

Der Mann war sichtlich erfreut über mein Interesse, jedenfalls erhellte sich seine Miene, als er freudig berichtete, es handle sich um einen typischen (!) Osterbrauch in Fiorenzuola d’Arda: Die Einwohner klopfen bei dieser Ostertradition hart gekochte und bunt gefärbte Ostereier gegeneinander. Sieger ist, wessen Ei am längsten bzw. den meisten gegnerischen Eiern standhält. Das alles wusste ich natürlich längst, was ich dem Mann aber nicht sagte, vielleicht, weil ich nach dieser Er-Klärung noch ein wenig verwirrter war als vorher. Denn, fragte ich mich jetzt noch mehr als vorher: Wie kann es sein, dass ein und derselbe Brauch – identische Idee, identisches Timing, identisches Vorgehen – in der Emilia Romagna und in Südtirol gleichermaßen gepflegt und praktiziert wird? Hat doch Südtirol – an Geist zumal – mit jener Region des „richtigen“ Italien so gut wie gar nichts – wahrscheinlich nicht einmal das – gemein? Und jedenfalls wohl kaum Traditionen älteren Ursprungs? Und speisen sich doch – so will man uns halt glauben machen – all unser Brauchtum und alle unsere Traditionen so gut wie ausschließlich aus „deutschen“ und mithin nördlichen Kulturkreisen?

Ganz so einfach und eng gestrickt scheinen aber die Dinge dann doch nicht zu sein – die österliche Tradition des Eierpeckens in Fiorenzuola d’Arda, Provinz Piacenza, Region Emilia Romagna zumal spricht eine andere Sprache und lässt eine Vermutung – eine Hoffnung? – aufkeimen, die ich viel schöner finde, und wichtiger sowieso:

Wir sind alle schon längst, und vielleicht gar seit jeher, viel trans- oder auch: interkultureller, als viele von uns gern glauben würden, und jedenfalls als manche uns gern glauben lassen würden.

Wie auch immer: Als wir nach etwa einem Monat wieder zuhause waren, war dieser Osterbrauch von Fiorenzuola d’Arda eines der ersten Dinge, nach denen ich googelte (http://comune.fiorenzuola.pc.it/) und endgültig bestätigt fand: Es handelt sich um identisches Brauchtum. Allein die Verbindung, die Gründe für dieses Band zwischen Südtirol und der Emilia Romagna, konnte ich mir bisher nicht erschließen.

Tradizioni

Pont e Cül

Ogni anno, nella giornata di Pasqua, il paese di Fiorenzuola d’Arda, diventa teatro di una singolare manifestazione, che ha come protagonista l’uovo. Fin dai tempi antichi, l’uovo è stato uno dei simboli per eccellenza della Pasqua, in quanto, quest’ultima rappresenta la festa della vita e della Resurrezione. La festa prevede la partecipazione di moltissime persone e prende il nome dalle due estremità dell’uovo. La ponta e il cull è un’originale prova di abilità, durante la quale si utilizza una grande quantità di uova sode.

Durante la festa, le strade e le piazze della città sono invase da uomini e donne di tutte le età che si sfidano in una divertente battaglia. I giocatori si sfidano a due a due, muniti di un uovo sodo le cui estremità vengono chiamate “ponta” (la punta) e “l’cull” (il fondo). Si inizia facendo punta contro punta e, se questa si rompe, si fa fondo contro fondo. Se l’uovo si rompe da entrambe le parti, lo si cede al vincitore che passa a sfidare un altro concorrente.