Unser Plan war ja ursprünglich der gewesen, in Herbergen zu übernachten, größtenteils zumindest. Es ist ja diese auch eine Kostenfrage, nicht wahr, bei einer vier- bis fünfwöchigen Reise. Unter „Herbergen“ stellte ich mir Jugendherbergen vor, und hatte kein Problem damit, außer vielleicht die Sorge, ob ich nicht schon zu alt dafür sei. Meine Tochter beruhigte mich, es dürften da auch alte Leute rein, wenn sie nur bezahlen. Erst in der Vorbereitung auf unsere Reise lernte ich, dass es auf dieser Welt auch ausdrückliche Herbergen für Pilger gibt.
Mit diesen letzteren nun hatte meine Tochter ein Problem: Ob es denn da sauber sei, und ordentlich. Ich beruhigte sie, leichten Herzens, denn ich war mir ganz, wirklich ganz sicher, dass es auf dieser Welt bestimmt keine saubereren Orte zum Übernachten geben könnte als jene, die von der Kirche geführt werden: alles sehr schlicht, alles sehr einfach, aber dafür blitzblank und gestärkte Laken, so stellte ich mir das vor, und gab ich meine Vorstellungen an meine Tochter weiter. Die Kirchen-Leute haben ja Zeit, dachte ich mir, und jedenfalls konnte ich mir keine Kirche oder eine ihrer Einrichtungen vorstellen, in der nicht makellose Sauberkeit oberstes Gebot sei. Ich weiß nicht, woher ich diese Vorstellung hatte – aber ich weiß jetzt, dass sie sehr falsch war.
Fakt ist: In Pavia ging’s noch. Die Herberge (Santa Maria in Betlem) wird von einem Frauenorden geführt, das Gebäude ist recht neu, die Lage recht gut (auf dem Weg zu ihr hatte meine Tochter das erste Hinweisschild zur Via Francigena – weiße Schrift, auf braunem Grund – entdeckt), am Ende der im 2. Weltkrieg zerstörten und anschließend rekonstruierten Brücke „Ponte Coperto“, an die Einstein so gern gedacht hat, woran die Vorüberziehenden erinnert werden, wenn sie Zeit haben, hinzuschauen.
Es war dort ordentlich, alles recht neu, und die Wäsche war tatsächlich blitzblank, strahlend weiß und schön gestärkt – allerdings kam sie aus der Großwäscherei, wie die Nylonverpackung verriet. Die Kirchenleute haben scheinbar weniger Zeit, als ich dachte.
Wir hatten ein Zimmer ganz für uns allein (bei „Herberge“ denke ich automatisch an riesige Schlafsäle mit endlosen Bettenreihen), auch ein eigenes Bad – haben dafür aber auch an die 70 Euro oder sogar ein bisschen darüber bezahlt. Ohne Frühstück, wohlgemerkt.
Dieser war übrigens der Blick aus unserem Fenster, der Blick auf den Hinterhof, gewissermaßen. Ein sehr faszinierender Hinterhof, ich liebe alte Mauern, und hätte stundenlang an diesem Fenster stehen und mir vorstellen können, welches und wie viel Leben sich in und an diesen alten Mauern wohl zugetragen haben mag.
Die beiden Ordensfrauen, die im Garten werkelten – ganz klassisch, wie bestellt: die Klosterfrauen, die im Garten arbeiten -, haben es allerdings, glaube ich, nicht sehr goutiert, dass ich fotografierte. Der Blitz meiner Kamera hatte sich nämlich automatisch dazwischen gedrängt, weshalb die Frauen – ein bisschen empört, glaube ich – zu uns hoch schauten. Ordensfrauen sind ja auch wahrhaftig keine Fotomodelle. Diese hier waren gar womöglich noch Klausur-Schwestern, das gibt es ja noch. Jedenfalls waren das schöne, sehr friedliche Bilder, von jenem Garten, die ich sehr genossen habe, wenn ich sie auch nicht so gut einfangen konnte.
Wir haben das Haus schon früh am Morgen wieder verlassen; es ist dies eine alte Bergler-Gewohnheit – die geht wohl ins Blut, wenn nicht gar in die Gene – früh aufzubrechen, umso mehr, wenn man nicht weiß, was einen erwartet, an Weg, Strecke und Unwägbarkeiten.
Die Stadt war gerade am Erwachen – es sind diese meine liebsten Stunden -, und während wir aus ihr hinaus wanderten, schob sich langsam die Sonne über den Horizont, lag dieser ganz leichte, durchsichtige Morgennebel zwischen Himmel und Erde, und die Menschen, denen wir begegneten, blickten noch freundlich. Die Sonne schien, und ich fand den Gedanken unerhört, dass wir zu Fuß aus einer Stadt hinaus gingen, dass das überhaupt möglich war, eine Stadt zu Fuß verlassen; aber da hatten wir sie auch schon hinter uns – Pavia ist klein, etwa 70.000 Einwohner, und eine sehr hübsche, auch gepflegte und wohlhabend anmutende Stadt -, und waren zum ersten Mal an einer Abzweigung vorbei gelaufen, hatten zum ersten Mal ein Schild übersehen.
Ah ja, wir haben am ersten Abend unserer großen Wanderung fantastisch gegessen, in einer Trattoria wie es sich gehört, an deren Namen ich mich aber im Moment nicht mehr erinnern kann. Vielleicht fällt’s mir ja wieder ein, bei Gelegenheit.