Bei „stol“ überraschte neulich ein aufwändig gestalteter Beitrag mit dem Titel „Im Bann der Bahn“. Er berichtete ausführlich, wenn auch eher einseitig, über den unerschütterlichen Willen einiger (Weniger), auf Kastelruther Gemeindeboden eine dritte Seilbahn zur Seiser Alm zu errichten, dieses Mal vom Hauptort Kastelruth aus, und auf den Puflatsch hinauf (die vernünftigen Standorte für eine Bergstation dort oben sind ja schon besetzt. Oder auch: Vom Schicksal der Zu-Spät-Gekommenen). Dass diese (alte) Idee nicht schon längst gestorben ist, überrascht. Dass sie aber sogar den heurigen Winter überlebt hat, macht sprachlos.
Denn es gibt, bei Licht und mit ein wenig Verstand betrachtet, kein, aber auch wirklich kein! einziges! Argument, das für diese Seilbahn sprechen würde. Dessen scheint man sich offenbar auch beim Betreiber- und Promotorenkomitee der Seilbahn-Vision bewusst zu sein. Anderenfalls wäre der großzügig bemessene mediale Raum, den „stol“ zur Verfügung stellte, besser ausgefüllt und genutzt worden – beispielsweise, wie das üblich und vermutlich sehr sinnvoll ist, mit handfestem, belastbarem und überzeugendem Daten- und Zahlenmaterial, das auch kritischer Betrachtung standhält.
Derweil aber beschränkt man sich bei Seilbahnbauers lieber auf wenig mehr als halbgares Marketing-Wischi-Waschi, unter die staunende Menschheit gebracht vom Bürgermeister höchstselbst. Ein bisschen unklar ist, ob letzterer in seiner Rolle als erster Bürger der Gemeinde sprach, oder als Fahnenträger der Seilbahn-Visionäre (und ja, die Frage, ob es für einen Bürgermeister opportun ist, sich so undifferenziert auf eine Seite eines ebenso heftig umstrittenen wie fragwürdigen Projektes zu stellen, ist durchaus eine interessante, meine ich).
Im Bestreben also, ein ebenso sinnloses wie überflüssiges Projekt von vorvorgestern appetitlich zu verpacken und – irgendwie, egal wie – in die Neuzeit zu katapultieren, scheut man bei den Einpeitschern (hier, wie gesagt, in der Person unseres Bürgermeisters) nicht einmal davor zurück, in die tiefen Niederungen der Klimawandel-Leugner hinabzusteigen; auch nicht davor, eine offensichtliche Mogelpackung als „klein aber fein“ präsentieren zu wollen – was nun wirklich grotesk unpassend ist, für eine Seilbahn, die einen ganzen Berg vergewaltigen, verstümmeln und zerstören soll, und zwar unwiederbringlich. Nebenbei bemerkt: Der Kapital- und überhaupt Ressourcenhunger dieser Bahn und ihrer Nebenschauplätze (Piste!) dürfte weder „klein“ und schon gar nicht „fein“ sein. (Da wird auch noch so heftiges Süßholz raspeln wenig helfen…). Dass, nicht zuletzt, einer nicht näher definierten „abnehmenden Lebensqualität“ ausgerechnet mit einer neuen Seilbahn (noch einmal, denn es ist wichtig: die einen ganzen Berg vergewaltigen, verstümmeln und zerstören will, und zwar unwiederbringlich) begegnet werden soll, ist auch schwer nachvollziehbar. Wo in aller Welt hat je „Masse“ (denn wo Seilbahn, da Masse – daran führt kein Weg vorbei) so etwas Schönes wie Lebensqualität erzeugt? „Lebensqualität“ ist im Gegenteil heutzutage meist gerade dort, wo eben KEINE Seilbahn ist.
Da bleibt wahrhaftig nur noch Platz für ein verwundertes Kopfschütteln.
Ein einziger Punkt seiner Ausführungen könnte auf des Bürgermeisters bzw. der Promotoren Seite gut geschrieben werden: Der des überbordenden und durchaus problematischen Verkehrs, den aber der Bürgermeister ausschließlich an dem Pendelverkehr zwischen den Dörfern hin zur Bahn festmachen will. Das scheint mir nicht korrekt, und jedenfalls unvollständig: Zum Einen wird nämlich das (drängende! ohne Zweifel!) Verkehrsproblem während des Wintervierteljahres (denn darauf sind unsere Winter ja schon längst zusammen geschrumpft, und werden weiterhin schrumpfen, und sich davon auch vom diesbezüglichen Atheismus des Kastelruther Bürgermeisters nicht abhalten lassen…) naturgemäß deutlich weniger empfunden als während der grünen Jahreszeit. (Fast) Alles Leben spielt sich ja weit überwiegend innerhalb gut (lärm-)gedämmter Mauern und geschlossenen Fenstern ab.
Während der grünen Jahreszeit hingegen – für die ist die Bahn ja aber gar nicht konzipiert ! – ist das grundlegend anders: Man lebt draußen, hält Fenster und Türen geöffnet, genießt Balkon und Garten… und verflucht die Straße und ihren Verkehr (ich persönlich auch, weniger für mich, als vielmehr für meine Gäste. Das geht so weit, dass ich mich manchmal direkt schäme für das, was wir ihnen zumuten…). Allerdings – und das verschweigt der Herr Bürgermeister wohlweislich: Die hauptsächlichen Stressfaktoren weil Lärmproduzenten und mithin Minderer der sommerlich-ländlichen Lebensqualität sind
a) Traktoren
b) Motorräder, große und kleine
c) Lastwagen (betoniere!)
(und der eine oder andere Ferrari-Fahrer, mit dem das Testosteron durchgeht…), die mit Karacho durch die bewohnten Zonen rasen (!). Personenkraftwagen und (neue) Busse hingegen werden, sofern sie rücksichtsvoll fahren (mehrheitlich tun sie das) kaum wahrgenommen.
Ich kann also nicht wirklich erkennen, wie das Verkehrs-Problem mithilfe einer weiteren Seilbahn gelöst werden soll. Das Verkehrsaufkommen dürfte sogar mit dem Bau einer weiteren (Zubringer-)Bahn zur Seiser Alm eher zunehmen, denn sinken: Oder sollte etwa der Bürgermeister meinen, dass sich der Kapital- und überhaupt Ressourcenhunger einer (wenn auch „kleinen aber feinen“) Seilbahn allein mit ein paar Fahrten von ein paar Einheimischen-und-Gäste-Hanseln aus Kastelruth Dorf stillen ließe?
Es sieht also ganz so aus, als würden wir am Ende und nach dem Willen der Befürworter eine (teure!) neue Seilbahn, einen zerstörten Puflatsch und einen Haufen ungelöster alter Probleme haben, mit ein paar neu geschaffenen dazu.
Angesichts all dessen kommt man kaum umhin, zu überlegen, dass es – bei dieser zerstörerischen Seilbahn-„Vision“ – wohl eher nicht um eine Lösung für tatsächlich bestehende Probleme geht, sondern dass vielmehr die als (fadenscheiniges!) Deckmäntelchen herhalten müssen, für die Mogelpackung, an der (man kennt das ja: die große Allgemeinheit zahlt für eine kleine Elite) irgend jemand schon schön verdienen wird. Die Gemeinde und ihre Bürger werden das eher nicht sein.
Dabei könnte das Verkehrsproblem vielleicht auch ganz einfach und ohne großen Aufwand gelöst werden: Die rasanten Lärmer zum Beispiel könnten mithilfe strenger Geschwindigkeitsbeschränkung samt konsequenter Kontrolle relativ leicht gezähmt werden, womit das größte Problem schon mal vom Tisch wäre. Für die Pendler von und zur Bahn hingegen könnte die Straße schlicht und ergreifend gesperrt werden – wer zur Bahn will, hat den leisen und umweltfreundlichen Bus zu nehmen (deren Funktionsweise vielleicht auch mal überdacht werden könnte: Anderenorts werden schon längst kleine und maximal flexible Klein-Busse eingesetzt, mit sehr wenig Leerlauf…)
Mit der Auflage vielleicht und allenfalls, an die direkten Nutznießer einer solchen Maßnahme, dass ein angemessener Teil der Einnahmen, welche dank dieser Einschränkung individueller Freiheit „zum Wohle der Allgemeinheit“ generiert werden und weitestgehend in private Taschen fließen, an die Gemeinschaft zurück geführt werde, zum Wohle der letzteren.
(Zum Beispiel an die Tourismusvereine des Gebietes. Die wiederum könnten mithilfe dieser wahrscheinlich munter sprudelnden Finanzquelle viele schöne Sachen machen, Dörfer beleben, Lebensqualität heben…)
PS. In letzterem Zusammenhang finde ich es immer noch oder eigentlich zunehmend empörend, dass in Seis eine private (!) Kapital(!)gesellschaft sich völlig frei und ungehemmt aus einer Goldgrube bedienen kann, die aufgetan worden war, als die – öffentliche! allgemeines Gut! – Seiser Alm-Straße für den Individualverkehr gesperrt wurde. Mag sein, die Schließung war (ist) im allgemeinen Umwelt- und also öffentlichen Interesse – dann müssten aber auch, in logischer Konsequenz, die Einnahmen jener (privaten) Gesellschaft, aus öffentlichem Gut, im öffentlichen Interesse sein, und entsprechend in angemessenen Teilen der Bevölkerung zurück gegeben werden (und nicht, zum Beispiel, die Hotels der Gegend aufgekauft…).
Ja. Ich finde das alles sehr empörend. Nicht nur, wie schamlos allgemeines Gut abgeschöpft und weit mehrheitlich privaten Taschen zugeführt wird, um dort weit mehrheitlich zu verbleiben, sondern auch, wie die Bevölkerung für dumm verkauft werden soll, und wie leicht und gefügig sie sich für dumm verkaufen lässt.
Nachtrag: Vor einiger Zeit erschien bei „sz online“ ein interessanter Kommentar über die „Mobilität der Zukunft“. Darin schreibt der Autor unter anderem:
„Doch der Umbau des Mobilitätssektors bedeutet in Wahrheit viel mehr als den Wechsel des Betriebssystems vom Benzin hin zur Batterie. Er geht weit darüber hinaus. Er wird Städte binnen zweier Dekaden durch einen großteils geräusch- und abgasfreien Verkehr verändern. Er wird das Verhalten der Menschen mit neuen Formen des Individualverkehrs prägen. Und er wird der Wirtschaft ganz neue Angebote abverlangen. Es zeichnet sich ab: Die Mobilität steht vor einer Revolution, (…).
Angesichts solcher Entwicklungen („geräusch- und abgasfreier Verkehr“), die schon längst im Gange sind und vor dem Durchbruch stehen, scheint es mir doch mehr als nur kurzsichtig, heute zu planen, als würde sich am Verkehrsverhalten der allgemeinen Menschheit in den nächsten 50 und mehr Jahren nichts ändern…