Man stelle sich einmal vor:
„Der Kölner Kardinal Woelki lässt am Freitagabend von den Kirchtürmen seiner Diözese die Glocken tönen; für jeden toten Flüchtling im Mittelmeer ein Schlag – als Mahnung, als Zeichen, als Aufforderung an die Politiker, „einen legalen Weg für Flüchtlinge nach Europa“ zu schaffen“.
So berichtete gestern Heribert Prantl in „Süddeutsche Zeitung“ (sz.de). Man stelle sich das einmal vor: Die Glocken katholischer Kirchen läuten für die Toten muslimischen Glaubens, für die Menschen also, vor denen einer wie Pius Leitner sich so fürchtet, und dem die – unsinnige! – Frage den Schlaf raubt, warum wohl (Muslime) „in Ländern Unterschlupf suchen, wo lauter „Ungläubige“ leben.“ Ja. Während also Südtirols „christlichste“ Politiker sich mit solchen – verlogenen! – Fragen beschäftigen (wollen), profilieren (wollen) und Wählerherzen gewinnen (wollen), läutet der Kardinal in Köln die Glocken seiner Kirchen für dieselben Menschen – für die also, die dem christlichen Herrn Leitner so viel Sorge bereiten.
Ja. Und am gleichen Tag diskutierte man in Südtirol, dem Land mit den überproportional vielen Kirchtürmen (was für ein schönes! Geläute das ergäbe, wenn diese Glocken alle, wie jene des Kardinal Woelki in Köln, am Freitagabend erklingen dürften, um den Toten die Ehre, und den Lebenden die Hoffnung zu läuten…) und wiederum ausgehend von einem der „christlichsten“ Politiker des Landes, nämlich einem Parteikollegen des Herrn Leitner wie oben, die traditionsreichen und traditionellen Herz-Jesu-Feuer, von denen der christliche Parteikollege des Herrn Leitner sich gewünscht hätte, dass diese Tiroler Feuer, die im Namen des Herzen Jesu angezündet werden, doch bittschön auch brennen mögen gegen „eine unkontrollierte Zuwanderung in Europa“. Er meint übrigens auch, der Parteikollege des Herrn Leitner, dass der Tiroler (die Tirolerin ist vielleicht mitgemeint) ja eigentlich hilfsbereit sei, aber halt nicht immer, und jedenfalls eine Heidenangst davor hat, ausgenutzt zu werden.
Ja, wohl wahr. Es könnte ja mal eine christliche Hilfe umsonst gewesen sein.
So, und derweil also das christlich(st)e Südtirol sich mit derlei lebenswichtigen Fragen beschäftigt, und damit, wie die „echten“ Hilfsbedürftigen von den „unechten“ unterschieden werden können, damit bloß ja kein aufrechter Tiroler (wahlweise: Tirolerin) ausgenützt werden könne, derweil sterben dort unten, nur wenige Zugstunden weiter südlich, nach wie vor Menschen, in dem kalten Meer, das die verschlossenen Türen des christlichen Abendlandes umspült.
Und derweil weiterhin hierzulande kalte Feuer brennen sollen, im Namen des Herzen Jesu, läutet weiter oben im Norden, dort, wo die meisten dieser Geflohenen ohne Heimat und Habe gern ankommen würden, im wörtlichen und im übertragenen Sinne, wenn man sie denn ließe, dort also läutet ein Kardinal die Glocken seiner Kirche für sie, und will damit „einen legalen Weg für die Flüchtlinge freiläuten, das Geläut soll sicheres Geleit erwirken„, am Freitagabend, weil am Samstag ist Welttag der Flüchtlinge.
Und ich, ich stelle mir vor, was für ein schönes! Geläute das ergäbe, wenn an diesem Freitagabend, dem Vorabend zum Welttag der Flüchtlinge, die Glocken der Südtiroler und der Tiroler und überhaupt aller Kirchtürme, die den Weg der Flüchtlinge von Süden nach Norden säumen, läuten dürften, wie jene des Kardinal Woelki in Köln, am Freitagabend und gern darüber hinaus, um den Toten die Ehre, und den Lebenden die Hoffnung zu läuten.
Welche schöne neue Aufgabe das doch wäre, für die altehrwürdigen Ruferinnen.