Die NSTZ hatte vor ein paar Tagen berichtet, dass ein Internetmagazin namens „Tablet“ das Kommentieren seiner Beiträge nur noch „zahlenden Kunden“ ermöglichen wolle. Dieser doch recht ungewöhnliche Schritt – im Netz, der vorwiegend-immer-noch-Gratiskultur – wird folgendermaßen erklärt:

(…) ist dieser Vorstoß besser, als wenn man alle Kommentare unterbindet, wie es manche Medien inzwischen tun. Bei „Tablet“ soll die Gebühr nun für eine Art „Zivilisierung” der Diskussion sorgen und „viele, wenn nicht die meisten der übelsten Missetäter ausschalten“.

Was „Zivilisierung“ und „üble Missetäter“ angeht, muss ich gestehen: Ich bin nicht gänzlich unvoreingenommen, seit ich im Netz ein paar Begegnungen der unangenehmeren Art hatte. Ich möchte das hier nicht überbewerten, aber ich glaube, dass insgesamt das oft doch recht unschöne Treiben der Anonymen eher unterbewertet wird, aus welchen Gründen auch immer.

Denn immerhin werden mit der oben zitierten Aussage der Chefredakteurin von „Tablet“ zwei bisher-Vermutungen (meinerseits, eh klar) zu einem Faktum erhoben: Dass nämlich die unkontrolliert agierenden „Anonymen“ dem Netz, vor allem den Foren – aber um die geht es ja -, 1. mehr Schaden als Nutzen bringen, weil 2. sehr viele Diskussionen von der „Zivilisation“ abfallen und 3. sehr viele verschiedene Meinungen und ein vielschichtiger Austausch schon gar nicht mehr stattfinden (können), weil die Kommentare nicht mehr stattfinden.

Dass damit der freie und unmittelbare Meinungsaustausch abgewürgt wird, ist eh klar, und schade. Denn es sind ja gerade diese die ganz großen Vorzüge der Online- gegenüber den klassischen Medien: Die Möglichkeit aller, sehr unmittelbar teilzunehmen, und sich auszutauschen, über alle Grenzen hinweg. Aber natürlich auch die Tatsache, dass bisher passive „LeserInnen“ zu aktiven „TeilhaberInnen“ werden, an einem nach allen Richtungen offenen Prozess; dass mithin die bisherige und bisweilen gefährliche Allmacht von „Blattlinien“, HerausgeberInnen und JournalistInnen-Meinungen nachhaltig durchbrochen wird. Oder zumindest die Möglichkeit dazu besteht. Es kommt also letztlich das „Abstellen“ der Foren einer Kapitulation gleich, vor den Anonymen (und den Herausforderungen des Internet). Dass übrigens das Verhältnis „Anonyme : Klarnamen-User“ ein Ungleiches und sogar eklatant Ungerechtes ist, muss hier auch noch gesagt werden: Während nämlich Klarnamen-User an allen Fronten ungeschützt angreifbar sind, bis hinauf zur persönliche Ebene, tragen Anonyme gewissermaßen eine Tarnkappe. Dass beide gleich behandelt werden (sollen), scheint mir unlogisch.

Womit ich auch schon bei meinem eigentlichen Anliegen wäre, nämlich dem Gespräch „Freiheit contra Bespitzelung“ bei „Eberhard Daum im Stadtcafé“. Anton Rainer (Student und freier Mitarbeiter bei „NSTZ“) und Philipp Kleon (Freiheitlicher) setzen sich darin eine gute Viertelstunde lang mit dem Thema der Anonymität im Netz auseinander, und wie weit die gehen dürfe. Es bedrückt mich übrigens bis heute, dass ich mich in jener Diskussion zum ersten Mal in meinem Leben auf der Seite der Freiheitlichen wiederfand, denen gegenüber – ich gesteh’s, und ich stehe dazu – ich heftigst voreingenommen bin: üblicherweise stellen sich mir sämtliche Haare auf, sobald ich „freiheitlich“ auch nur ahne, und bleiben in Hab-Acht-Stellung, bis auch der letzte blaue Schimmer sich verflüchtigt hat. Aber es gibt ja bekanntlich immer ein erstes Mal – hier die Tatsache, dass die „richtige“ – also die „gute“, nach meiner sehr persönlichen Wertung – Seite leider die „falsche“ Position einnahm, und sich akkurat der Freiheitliche gegen Anonymität und für Klarnamenpflicht aussprach – also meine Position vertrat. Das schmerzt, auch heute noch, ja. Die „richtige“ Seite hingegen will die Anonymität im Internet gewissermaßen geadelt wissen, rein gewaschen und gesellschaftlich legalisiert. Das schmerzt noch mehr, denn man bedenke: „Anonymität“ hatte zu allen Zeiten etwas anrüchiges, unehrliches bis unseriöses – in Anbetracht dessen es doch noch unfassbarer erscheint, dass wir, im Jahre 2015 und mithin bald 250 Jahre nach „Aufklärung“, im Zeitalter der schon fast zum Dogma erhobenen Transparenz – ein Recht auf Anonymität fordern, im Namen der Freiheit. 

À propos, da fällt mir ein, und es passt grad recht schön in den Kontext: Ich hatte einmal bei meiner Hausbank um einen Kredit angesucht, der mir nicht gewährt wurde. Woraufhin ich meinen Bankberater gebeten habe – mir schien das logisch -, er möge mir doch die Gründe für den abschlägigen Bescheid nennen. Begründungen für eine Haltung sind ja immer interessant und lehrreich. Dieses Anliegen wurde mir aber auch verweigert, denn, so mein Bankberater, die Beratungen im Kreditkomitee seien „geheim“ und die Bank als privates (!) Unternehmen zur Transparenz nicht verpflichtet (!). Ich gesteh’s: Meine Fantasie erging sich in den wüstesten Bildern, die ich hier lieber nicht wiedergebe. Es würde ja eh nichts nutzen. Und damit bin ich auch schon wieder zurück bei meinem eigentlichen Faden, der da wäre: Wer sein Gesicht (oder sein Tun) nicht offenbaren will, hat wohl *ähem* gute Gründe dafür.

Dass also im Namen der Freiheit ein Recht auf Anonymität eingefordert wird, ist bitter – und entlarvt eine noch bitterere Wahrheit, nämlich das trübe Bild einer wenn auch reichen und insofern eher unabhängigen, nichtsdestotrotz ziemlich unfreien Gesellschaft, einer Gebückten und einer Buckelnden – einer, die sich die Wahrheit und damit die Freiheit (umgekehrt geht auch) nicht zutraut und damit ihre eigene Unfreiheit bedingt. Denn es ist doch gerade dieses eines der unveränderlichen – und stärksten – Merkmale und Ausdrucksformen einer freien Person in/und einer freien, offenen Gesellschaft: Dass sie die Wahrheit nicht verstecken muss, keine, und das auch nicht will, im Interesse aller.

Denn so, und nur so, indem also Wahrheit vorenthalten wird, bleiben BürgerInnen „klein“, spielen den Mächtigen (bitte, visualisiere. Was siehst du?), den kleinen und den großen, in die Hände, und finden, en passant, Skandale bis Verbrechen aller Art einen guten Nährboden, auf dem sie ruhig und ungestört gedeihen können, bis es zu spät ist. Abstrus? Mittelalterlich? Vielleicht, aber nicht wahrscheinlich: Wozu sollte sich sonst, möchte man meinen, eine Debatte wie eben jene um das Recht auf Anonymität im Internet überhaupt je erhoben haben? Mit der Begründung, dass diese „Freiheit der Anonymität“ nötig sei, um – eventuell – Missstände aufdecken zu können? Welcher freie Mensch hat je, man sage mir, in einer freien und offenen Gesellschaft so etwas wie Anonymität gebraucht? Es sind sogar diese beiden Dinge – Freiheit also, und Anonymität – zwei Konzepte, die sich gegenseitig so heftig abstoßen wie zwei gleichnamige Pole: Wo die eine ist, kann die andere nicht sein.

Und übrigens wusste schon Schiller:

Die Großen hören auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen.

Seither hat sich nichts geändert. Und ja, auch „schweigen, wo eigentlich zu reden wäre“, aus Sorge und aus „Rücksicht“ auf die eigenen Belange, ist eine Form des Kriechertums. Schließlich kann eine Macht, sei sie nun groß oder klein, nur gebrochen – und in Grenzen gehalten – werden, wenn sich die Bürger nicht mehr „klein“ (ängstlich) machen lassen, wenn sie tun, was zu tun ist, und sagen, was zu sagen ist. Die Sache ist ja – in einem Rechtsstaat zumal, und wir haben das Glück und das Privileg, in einem solchen zu leben – recht einfach: Was einem Menschen in einem gesunden Gemeinwesen zusteht, worauf eine Person Recht und Anspruch hat, das kann sie durchsetzen, dafür gibt es Instrumente; und worauf sie kein Recht und keinen Anspruch hat (als da wären „Gefälligkeiten“, Bevorzugung, „wohlwollende Behandlung“ u. dgl. mehr) hat sie nicht zu erwarten.

So lange nämlich Bürger und Bürgerinnen stets mit einem Auge nach der (möglichen) Reaktion der Mächtigen schielen, und auf deren „Wohlwollen“ spekulieren, so lange haben jene auch tatsächlich Macht, objektive und subjektive.

Es gäbe doch also nichts zu befürchten – aber zu hoffen, dass es schon bald keine Anonyme mehr geben wird, und dass niemand das Bedürfnis verspürt, das Recht auf Anonymität (im Internet) einzufordern.

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