Eine Szene in dem ARTE-Film „Endstation Sonderflug“, den ich hier herein verlinkt habe, hat mir eine Episode aus meinen jüngeren Jahren in Erinnerung gerufen, und ihr eine neue Bedeutung gegeben, aber vielleicht habe ich ihre Bedeutung ja auch erst jetzt vollumfänglich, wie das so schön heißt, erfasst. Es ist lange her, ich muss Anfang 20 gewesen sein und hatte – über eine Anzeige im Tagblatt der Südtiroler, ja wirklich – auf einem Schiff angeheuert, als Receptionistin. Wir hier, wir Südtiroler, hatten ja damals in internationalen und vor allem touristischen Belangen einen gewissen Bonus und Marktvorteil, anderen,  nichtsüdtirolerischen Bewerberinnen gegenüber. Ich glaube aber, dieser Bonus hat in diesen letzten Jahren und Jahrzehnten ein bisschen an Bedeutung verloren, aber vielleicht haben ja auch nur die Mitbewerber aufgerüstet.

Jedenfalls gibt es in dem eingangs erwähnten Film die Szene, ab etwa Minute 54, in der ein Mann in seine „Heimat“ Afrika abgeschoben werden soll, und er sagt, es gäbe da aber ein Problem, er habe jetzt ein Kind, er habe geheiratet und seine Frau ein Baby bekommen, er könne die beiden doch nicht einfach hier zurück lassen, allein. Bei dieser Szene schob sich ein widerlicher kleiner Gedanke vor mein Bewusstsein, was soll ich sagen, irgendwie geht scheinbar nichts spurlos an uns vorüber, und dieser widerlich kleine Gedanke flüsterte, das hat er aber schlau angestellt, hat schnell seine Frau geschwängert, und hofft, dass er dann nicht abgeschoben wird. (Falls dem so gewesen sein sollte, was ich im übrigen gar nicht glaube, es hat ihm nicht geholfen, und übrigens säße ich in dieser Szene lieber auf dem Stuhl des „Inhaftierten“, als auf jenem des „Vollzugsbeamten“. Grausamer Job, der seine).

Aber da fiel mir Robin ein, aus Rumänien, glaube ich, er nannte sich Robin und Popescu, und war Tänzer auf dem Schiff, und als ich ihn einmal fragte, was denn seine Eltern dazu gesagt hatten, wie das denn gewesen sei, seine Familie zu verlassen, so „for good“, als er fort „wollte“, aus seiner Heimat, da lachte er bitter, ich weiß es noch sehr genau, und antwortete, sein Vater habe ihn gedrängt, doch endlich zu gehen, so lange er noch gehen könne. Das muss doch auch hässlich sein, habe ich mir damals gedacht, als Sohn, oder Tochter, wenn dein Vater zu dir sagen muss, hau doch lieber ab, und er weiß nicht, ob er dich noch einmal wiedersieht, in diesem Leben. So war das, und Robin Popescu war ein Tänzer, mit einem dunklen Bart und dunklen Augen, und dann waren da noch ein paar Polen, unter den Musikern, wie gesagt, das alles ist bald dreißig Jahre her, und alle wirkten immer ein bisschen traurig, auch dann, wenn sie Musik machten, oder tanzten, und sie alle tranken viel Wodka, weil man den, so sagten sie, nicht riecht, im Atem.

Aber zurück zu Robin, aus heutiger Sicht glaube ich, er war ziemlich verzweifelt und auf der Suche nach einer Frau, die ihn heiraten und befreien würde, von diesem Schiff, auf dem er wie ein Seelenloser auf einem Geisterschiff gefangen war, ich glaube, er wollte gern richtig tanzen, auf einer richtigen Bühne, statt vor kleinkarierten Kreuzfahrt-Touristen, ich frage mich gerade, ob ich eigentlich damals erwägt hatte, ihm den Gefallen zu tun, und ihn zu  heiraten, aber ich glaube eher nicht. Irgendwann kam dann eine Österreicherin aufs Schiff, ihren Namen weiß ich leider nicht mehr, und sie muss ihn letztlich geheiratet haben, Robin, den Tänzer aus Rumänien, denn später erfuhr ich – da war ich selbst schon nicht mehr auf dem Schiff – dass er in Wien gelandet war, vielleicht aber auch gestrandet.

Jedenfalls glaube ich, es gibt im Leben durchaus Situationen, in denen auch so genannte „unmoralische“ Wege durchaus legitim und gerechtfertigt sind, ja, das glaube ich, in einer unmoralischen Welt aber allemal.

Denn wir sind die, die im Glashaus sitzen, und wir sollten nicht mit Steinen werfen, nach denen, die draußen stehen.  Und was, wenn sie das Glashaus stürmen.

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