Ein Gespenst geistert durch unser Land, und das Gespenst heißt „Volkstumspolitik“. Die Chefpartei musste kräftig Federn lassen – schon seit bald zehn Jahren, habe ich mir sagen lassen, hatte sie den Rückwärtsgang eingelegt, aber diesen Herbst tat’s wohl erstmals *richtig* weh – und das, so wird gemunkelt und vermutet, liege in erster Linie daran, dass man bei der großen Sammelpartei aller deutsch- und ladinischsprachigen Südtiroler die Volkstumspolitik vernachlässigt und den entsprechenden Wählerpool den anderen deutschsprachigen Parteien überlassen habe.
Die Not ist nun groß im reichen Lande, und die Volkstumspolitik soll’s richten – grad heute wieder, in diesem Text der NSTZ kommt das Unwort zur Sprache, als sei es gar nichts. Denn mir scheint „Volkstumspolitik“ nicht wirklich geeignet, auch nur genannt und noch viel weniger: betrieben zu werden. Und ja, sie erschrecken mich, die Leichtigkeit und die Selbstverständlichkeit, mit der dieses hässliche Wort mit noch hässlicherer Vergangenheit – Wikipedia ist da ganz eindeutig – in den Mund genommen und unters Volk gestreut wird, und wie willig sich die so genannten seriösen Parteien inklusive ihrer jungen Hoffnungsträger von denen, die „Volkstumspolitik“ machen und verlangen, vor sich her und auf den „rechten“ Pfad treiben lassen – statt gegenzusteuern.
Es ist schon einige Jahre her, als ich einer Freundin erzählte, wie mich der (damals noch junge) Trend zu Dirndl und Lederhosen auch bei jungen Leuten erschreckte. Sie hingegen fand das toll, und ich weiß heute noch nicht, was ich daran toll finden soll, wenn junge und scheinbar „moderne“ Menschen sich einen Kleidungsstil antun, der weder ihrem Lebensstil noch dem Zeitgeist entspricht. Aber halt: Dem Lebensstil und unseren modernen Zeiten mögen diese Kleider und alles, was dazu garniert wird, nicht entsprechen – dem Zeitgeist einer zunehmend großen Bevölkerungsschicht hingegen sehr wohl. Denn es geht in dieser Art, sich zu kleiden, doch – bewusst oder unbewusst – darum, die eigene Zugehörigkeit auf direktestem Wege nach außen zu tragen, und gleichzeitig allen „Anderen“ klar zu machen, dass sie nicht dazu gehören. Was ja übrigens Sinn und Ursprung jeder „Tracht“ ist. Und nein, auch mit einem „Bekenntnis“ oder der „Liebe“ zur Heimat lässt sich da nichts schönreden, denn das wäre ja eine traurige und oberflächliche Liebe, die sich in verzuckerlter und verkitschter Anno-Domini-Kleidung ausdrückt. In dem schönen Text, den ich weiter unten verlinke, stand neben vielen anderen bemerkenswerten Sätzen auch dieser hier zu lesen: „In Zeiten des Überflusses schwingen die Europäer gern Sprüche von Moral, Toleranz und gemeinsamem Miteinander, aber in der Krise heißt es: Raus mit den Parasiten!“ Denn darum geht‘ s ihnen doch, den Dirndl-und-Lederhosen-Zeitgeistlern: Raus mit allen, die nicht in Lederhosen geboren wurden.
Dieser modische Trend ist also gewissermaßen die „Volkstumspolitik“ von unten, und es ist nicht wirklich klar, wer hier wen befruchtet, die Basis ihre Politiker oder vielleicht doch umgekehrt. Das perfide daran ist aber jedenfalls, dass alleweil so getan wird, als ginge es um gute und schöne Dinge wie eben Liebe zur und Respekt für Heimat, Kultur, Tradition und beider Bewahrung und Schutz. Die Wahrheit ist derweil eine ganz andere: Hüben grassieren Dirndl und Lederhosen und die rot-weiße Flagge an jedem beliebigen Sonntag, und gleich nebenan wird alles, was auch nur ein wenig Heimat, Tradition und Kultur in sich birgt – meist als „olts Glump“ und „des bring sofl nix“ bezeichnet -, der „Moderne“, in Wahrheit aber vielleicht doch eher dem schnöden Mammon geopfert.
Es hört also scheinbar die „Heimat“ der „Volkstumspolitiker“ und ihrer Jünger und Blindgänger just dort auf, wo der persönliche Profit anfängt. Und also fällt noch mehr auf, dass vornehmlich diejenigen, die mit „Volktsumspolitik“ nicht das Geringste am Hut haben, sich den Erhalt und die Pflege dessen, was in „Heimat“, „Tradition“ und „Kultur“ (s)einen gemeinsamen Nenner findet, am meisten Zeit und Geld kosten lassen. Sie laufen nicht in Dirndl und Lederhosen herum, sie flaggen nicht rot-weiß, an keinem Tag des Jahres, grenzen sich nach keiner Richtung ab und sowieso niemanden aus – sie sind ganz normale, moderne Menschen mit offenem Geist und offenem Herzen – und verspüren überhaupt kein Bedürfnis, in einer Vergangenheit Schutz und Halt zu suchen vor den Bedrängnissen der Gegenwart.
Und ja und nicht zuletzt, es ist beängstigend still im Lande, wenn die „Volkstumspolitik“ ihr hässliches Haupt immer selbstbewusster immer höher hebt. Laut war sie schon immer.
Und hier noch, wie oben angekündigt, ein schöner Text, der zwar nicht direkt, aber doch sehr viel mit uns und der als Heilmittel gepriesenen „Volkstumspolitik“ zu tun hat: http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-11/us-kolumne-nationalismus-europa/komplettansicht