Über persönliche Grenzen (und wer sie definiert)

Vor ein paar Tagen wurde ich auf dieses Video aufmerksam (ich stelle es ganz am Ende des Beitrags ein – es ist aber auch im Zeit-Text, auf den ich noch zu sprechen komme, verlinkt).  Es zeigt – und zählt -, wie oft eine ganz normal daher kommende Frau im Laufe eines Tages sprachlichen Aggressionen und Anzüglichkeiten wildfremder Männer ausgesetzt ist. Es war eine ausgezeichnete Idee, diesen Film zu machen, denn so etwas erlebt ja jede Frau, und nein, es ist NICHT angenehm. Aber unsereine wird ja nicht gefragt. Das Video lief dann auch – völlig zurecht – sehr schnell viral. Vielleicht, so meine Hoffnung, fängt ja doch der eine oder andere mit Nachdenken an.

Ja, und dann stellte sich plötzlich, keine Ahnung woher und warum, diese Frage vor mein geistiges Auge: Was, wenn es nicht – wie im Film – eine doch einigermaßen erwachsene und somit „gefestigte“ Person ist, die sich diesen Anzüglichkeiten ausgesetzt sieht (denn es ist ein Ausgesetzt-Sein, keine Frage)? Was, wenn sie ein junges Mädchen ist, dessen Körper sich gerade erst am Entwickeln ist oder sich gerade eben entwickelt hat – und das Mädchen, wie es ja oft ist, selbst noch nicht richtig in ihrem neuen Körper angekommen ist? Was macht das mit einem jungen Mädchen, diese Anzüglichkeiten, Anspielungen und Aggressionen – und was, wenn die – wie so gern und oft – von Männern kommen, die ihr in jeder Hinsicht (aber keiner positiven) weit voraus sind? Was macht das mit ihr? Beeinflusst es ihr Verhältnis zu – und ihr Verständnis für – ihren Körper? Und wie? Und was macht es mit ihrem Verhältnis zu ihrer und überhaupt Sexualität? Welche Bilder baut das alles in ihrem Kopf? Und wie vermischt es sich mit dem, was sie gelernt hat, bewusst und unbewusst, von dem Sein und dem Wesen einer Frau, und dem Sein und dem Wesen eines Mannes?

Dann kam gestern dieser Zeit-Text meiner Wege, und ich habe ihn gern gelesen, sehr gern gelesen. Denn die Autorin zieht ein paar sehr interessante Schlüsse und stellt ein paar scharfe Überlegungen an, aufgrund und anhand dieses Film, über den Zustand – die Zustände! – in unserer Welt, der jeweils männlichen und der weiblichen und der anderen, die eine gemeinsame sein wollte, das aber noch längst nicht ist, oder zumindest bei weitem nicht so sehr, wie man gern glauben möchte, oder besser, wie manN – eine beträchtliche Zahl manN – sich selbst und uns Frauen glauben machen möchte.

Wenn sie dann auf Widerstand treffen, diese manN, dann werden sie gern aggressiv, gegenüber jenen Frauen, die es an- und aufzeigen, dieses immer-noch-Defizit bei Gleichstellung und Gleichberechtigung & Co., jeder auf seine Art, aber immer aggressiv. Denn es ist auch eine Art Aggressivität, die Aberkennung, das Nicht-Anerkennen und gar Leugnen der un(ge)rechten Verhältnisse, denen viel zu viele Frauen sich immer noch und immer wieder ausgesetzt sehen. Da fällt mir ein – ein kleines Beispiel, aber die Richtung stimmt: Wie oft muss sich eine Frau von einem Mann Dinge anhören, wie „sei doch nicht so empfindlich, sei doch nicht immer gleich verletzt, das ist doch nicht beleidigend, das ist doch gar keine Verletzung, das ist keine Aggression“.

Das nun kann allerdings kein Mann, das kann überhaupt kein anderer Mensch festlegen, wo die oder der jeweils andere ihre Grenzen hat. Was einen Menschen verletzt, kann nur die jeweils Betroffene definieren, und die anderen haben das zu respektieren. Punkt.

Und ja, genau diese ist für mich die Kernbotschaft dieses Videos: Mag sein, manche Männer empfinden gar nicht als „Aggressivität“, oder als Belästigung, was sie da tun. Aber darum geht’s auch gar nicht. Denn es geht ja gar nicht um die Männer, und um ihr Empfinden. Es geht um die Frau, und darum, dass nur sie das Recht hat, zu bestimmen, wo ihre Grenzen sind, und ob und wem sie erlauben will, diese Grenzen zu überschreiten. Punkt.

NB: Ziemlich interessant auch das hier (unter Punkt 3, immer noch im Zeit-Text wie oben):

Der Soziologe Michael Kimmel hat für die USA den Typus des angry white man ausgemacht. Männer, die den Eindruck haben, dass ihre Chancen immer kleiner werden – und aggressiv reagieren. „Eine schwarze Frau hat meinen Job gestohlen“ hätten ihm Männer bei seinen Recherchen immer wieder gesagt. Er habe dann gefragt: „Wie kommen Sie auf die Idee, dass das Ihr Job war?“

Ob das die gleichen Männer sind, die sich in Mordfantasien ergehen, lässt sich nicht sagen. Doch offensichtlich ist: Hier fühlen sich Männer angegriffen, weil sie Privilegien abgeben sollen. Dass diese in der Gesellschaft gleich verteilt sein sollten, ist also alles andere als Konsens.  

Da könnte doch was dran sein.

http://www.internazionale.it/notizie/2014/10/28/a-passeggio-per-new-york.

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