Mehr als 5.000 Kommentare in weniger als 24 Stunden für ein Post auf Facebook. Unfassbar genug. So viel Aufmerksamkeit und so viel Zeit – wofür? Für nicht mehr und nicht weniger als einen Brief, den die Grünen Frauen Wiens an einen Herrn Gabalier geschrieben hatten. Dieser Herr Gabalier, ein österreichischer Volksmusiksänger con tanto di Trachtenjanker samt Wamserl – bis dato nie gehört oder gesehen, das Bürschl -, hatte scheint’s bei einer öffentlichen Veranstaltung die österreichische Bundeshymne gesungen, mit falschem Text. Das ist peinlich genug, wäre aber kaum der Rede wert, weil ein Mensch mit auch nur wenig Format eine solche Dummheit nie begangen hätte. Deswegen ist das Fettnäpfchen des A. Gabalier aber noch keineswegs „lässlich“, so viel Freiheit, denke ich, muss sein, dass jede für sich selbst entscheiden kann, was für sie lässlich ist und was nicht (es geht ja auch, immerhin, um eine Nationalhymne).
Weit gefehlt – so liberal ist man (ja!) noch lange nicht, dann zumal nicht, wenn Frauen (Grüne! gar, Feministinnen! gar) involviert sind.
Denn was folgt, auf dieses dä* Benehmen des A. Gabalier, ist Besorgnis erregend, bitter und bedrückend: Die mehr als 5.000 Kommentare des Shitstorms, der sich in kürzester Zeit über der Sache erhebt, gilt nicht etwa dem dü* Benehmen des A. Gabalier – nein, er entfesselt sich über den Grünen Frauen (Wien), weil sie – man höre und staune, der Anlass! – diesem Sängerbuben einen Brief geschrieben und darin um Erklärung gebeten hatten, warum er Österreichs Töchter von der Hymne ausgesperrt habe. Es kann, bestimmt, darüber diskutiert werden, ob die Sache bzw. der Herr Gabalier auch nur das Papier wert sind, auf dem die Grünen Frauen ihren Brief an ihn geschrieben haben, aber es muss auch gesagt sein: So ein Brieflein ist ja schließlich schnell geschrieben – warum also nicht?! Denn es ist doch, objektiv betrachtet, schon witzig, dass ein Trachtenjanker-Träger den Text der Hymne seines eigenen Landes nicht kennt, sie nichtsdestotrotz fröhlich in die Gegend schmettert.
Die Antwort des A. Gabalier spricht dann auch für sich und sollte, in einer korrekten und gerechten Welt, die Sache bereinigt und jedenfalls dem Herrn Gabalier die „Ehre“ verschafft haben, die ihm gebührt: Er habe das, verkündet er, mit acht (!) Jahren in der Grundschule so gelernt, und sehe keinen Grund, daran etwas zu ändern.
Ich meine, es ist ja schon eine ungeheure Anmaßung, sich über einen Gesetzesbeschluss (SPÖ, ÖVP und Grüne, im November 2011, auf Antrag der Frauen in der ÖVP) einfach hinwegzusingen, weil man’s persönlich besser findet, und nein, ich denke lieber nicht daran, was passiert wäre, wenn diese Geschmacklosigkeit von einer Frau begangen worden wäre.
Es hat aber ein Mann sie begangen, und Frauen – schlimmer noch: Die Grünen! Frauen! – sich eingeschaltet, beim Sängerbuben, um auf seine öffentlich begangene Verfehlung hinzuweisen. Es ging ja, wie gesagt, keineswegs um ein persönliches Liedchen des Herrn Gabalier, sondern um die österreichische Bundeshymne. Wobei ich mich ja eh gefragt habe, ob die Polemik über einer Hymne (!) heutzutage nicht sowieso gänzlich unpassend ist, und würde dafür plädieren, sämtliche Nationalhymnen stantepede abzuschaffen und durch, beispielweise, etwas wie „Don’t worry, be happy“ oder „Give peace a Chance“ zu ersetzen, nationenübergreifend. Interessant übrigens auch, zu beobachten, wie sich vorgeblich „liberal“ – auch politisch – engagierte Kräfte, die sich beispielsweise für die Abschaffung nationaler Grenzen und maximale (mindestens) regionale Subsidiarität stark machen, für eine National(!)hymne, in ihrer veralteten Version noch dazu, ins Zeug legen.
Aber zurück zum Text. Die Folge also des Fehltritts von Herrn Gabalier ist nicht, dass sich der Volkszorn über ihm erhebt, dem Fehltreter, dem der Spott und die Häme wohl zustünden – nein, der Spott, die Häme, der Zorn, die Aggressionen und gar Drohungen ergießen sich über – man rate mal – den (Grünen, Wiener) Frauen und generell Feministinnen. Da wird völlig undifferenziert (!) und völlig unreflektiert (!) drauf los gedroschen und drein gehauen: es wird nicht etwa das Benehmen des A. Gabalier als „schwachsinnig“ bezeichnet, sondern der Brief der Wiener Grünen Frauen; es wird nicht etwa der A. Gabalier verrissen und zerrissen, sondern die (Grünen) Frauen; und da wird, auch interessant, „so ein Schreiben“ als Vorwand genommen, „die Grünen“ nicht (mehr) zu wählen und behauptet, beides „schade der Grünen Partei“ und schanze anderen (!) Parteien die Wähler zu. Es wird – perfideste Umkehrung & Verdrehung der Verhältnisse & Tatsachen – der „Sünder“ auf den Schild gehoben, die Anklägerin in Fetzen gerissen.
NB: In Sachen „Schaden für die Partei“ fallen mir aus dem Stegreif mindestens sieben maßgeblich bedeutendere „Schäden“ ein, die einzelne Vertreter ihren Parteien zugefügt haben – deren keine aber auch nur einen annähernd so heftigen Shitstorm über den Schädlingen hervorgerufen hätte.
Bis hierher also wäre – aus Frauensicht – die Welt alles andere als in Ordnung, die unschöne Geschichte ist aber noch längst nicht an ihrem Ende. Vielmehr bewegt sie sich ab hier in eine andere, und noch sehr viel verstörendere Richtung:
Zunächst einmal wird die Polemik von – wenig überraschend – hauptsächlich Männern hochgekocht (schnell hingeschaut, würde ich auf ein Verhältnis von 1:15 tippen). Unter diesen Männern befinden sich auffallend viele Vertreter verschiedener (!) „Burschenschaften“ (!); auch die anderen Beteiligten an dieser „Diskussion“ scheinen, dem vorherrschenden Tonfall, der Ausdrucksweise, Wortwahl und grundsätzlichen Einstellung nach zu urteilen, derselben und bedenklich der rechten Seite zuneigenden „Denkschublade“ anzugehören.
Es ist schon sehr beängstigend, und bedrückend, zu sehen, wie schnell diese unheimliche Szene sich „formiert“, wie kompakt sie in Erscheinung tritt (noch einmal, zur Erinnerung: 5.000 mehr oder weniger gleich lautende Kommentare in weniger als 24 Stunden!) – aber noch viel mehr beunruhigt mich, wie kritiklos dieses Treiben sogar von so genannten „liberalen“, progressiven und jungen Geistern mit hoher bis höchster Internet-Affinität (möchte meinen! die? digital natives! volksmusik? gabalier!) begrüßt und gar bejubelt wird. Da wird, im Nu, dem süßlich-süffigen Barden Gabalier in seinem Trachtenjanker und mit seiner Retro-Retro-Schmalz-Frisur die Reverenz erwiesen, wird er zum Idol erhoben, und, ich seh’s kommen, den (Grünen, Wiener) Frauen und grundsätzlich Feministinnen die Schuld dafür in die Schuhe geschoben, wenn Österreich und überhaupt Europa über solchen und ähnlichen Nationalismen (denn nichts weniger sind sie) alleweil braun und bräuner wird.
Gänzlich unreflektiert und gänzlich undifferenziert. Hauptsache, Frauen sind aus dem (eigenen) Weg.